Wolfgang Büscher, wie arbeitest Du?

Viele Reporter:innen in Deutschland gehen irgendwann in Führungspositionen und hören auf zu schreiben. Wie schaffst du es, über so viele Jahre zu schreiben?
Ab und zu eine Pause, um wieder auf den Geschmack zu kommen. Sei es ein Buch schreiben oder ein Ressort leiten. Ich war zuletzt fünf Jahre Ressortleiter. Jetzt bin ich wieder frei zu schreiben.

Was ist die größte Gefahr, wenn man über so viele Jahre Reportagen schreibt?
Dass es einrastet, stilistisch, thematisch. Dass man seinen Sätzen wiederbegegnet, sein eigenes Zeug schon auswendig kann, bevor man es aufschreibt.

Was kannst du heute, was du vor zehn Jahren nicht konntest?
Nein sagen.

Wie hat sich die Reportage sprachlich in den letzten zwanzig Jahren verändert?
Ich bin kein Freund der Literarisierung der Reportage. Geht es ums Schönschreiben oder darum, etwas zu schreiben, was da draußen jemand braucht? Mehr um Preise als um die geistige Dienstleistung, die man Journalismus nennt? Die Exzesse dieser Entwicklung sind ja bekannt. Literarische Ambition trifft aktivistische Absicht trifft die Bereitschaft, auch mal fünfe gerade sein zu lassen.

Ist es auch eine gute Entwicklung, dass die meisten Reporter:innen weniger Zeit haben und nicht mehr hundert Jahre an jedem Satz feilen können?
Dieser Befund scheint meiner letzten Antwort zu widersprechen. Es gibt halt beides, den Maschinenraum und das Deckchair-Deck. Der Maschinenraum hat sein Gutes. Ich habe ihn lieben gelernt. Unter großem Zeitdruck sind, so meine ich, einige meiner kraftvollsten Texte entstanden.

Wer sind eigentlich deine Vorbilder und warum?
Ach, aus dem Alter bin ich raus.

In diesen Tagen wird viel über die Kultur bei Springer geredet, du warst in verschiedenen Verlagshäusern. Können Unternehmen strukturell etwas gegen Machtmissbrauch tun (und was)?
Bei Springer sind alle Wecker gestellt. Das war nicht immer so, aber es ist jetzt so. Ständig gehen Mails an alle mit den Erreichbarkeiten all der Ansprechpartner und -innen, an die man sich vertraulich wenden kann, wenn einem wer an die Wäsche will. Beurteilen kann ich nur, was ich kenne. In all den Jahren ist in meinem Ressort und dessen Umgebung kein einziger solcher Fall ruchbar geworden, nicht mal als Gerücht. Frage: Wollen wir ehrlich reden? Dann sollen alle Häuser die Hosen runterlassen. Unkraut, das lehren mich Lebenserfahrung und christliches Menschenbild, gedeiht nicht nur auf einem Acker, und der Acker nebenan ist unkrautimmun.

Hast du bei Büchern ein anderes Schreibgefühl als bei journalistischen Texten?
Ja, deutlich anders. Journalismus ist Informationsarbeit und Team-Arbeit. Ein Buch schreiben heißt, den Weg lange allein gehen, nicht wissend, was kommt. Und dann in mich gehen, solange, bis ich diesen Packen von 250 Blättern aus der Hand gebe. Der Schriftsteller liefert sich anders aus als der Journalist.

Was lernt man über unsere Branche, wenn man als Buchautor selbst interviewt wird?
Nichts Neues. Es gibt gute und schlechte. Solche, die dich lesen wollen, die echte Fragen haben – und solche, die völlig ahnungslos zur Tür reinkommen und kaum bei der Sache sind.

Gibt es Reportage-Manierismen, die du nicht mehr sehen kannst?
Aktuell den albernen Doppelpunkt.

Ein Schreibtick?
Erste Sätze schreibe ich so um, dass sie ein schönes Initial haben. Die symmetrischen sind gut und die runden. A und O sind gut, auch ein C oder ein G. Ein I ist sehr gut, sehr elegant. Q, Z und Y sind knorzig-kostbare Raritäten. Schlecht sind die Hängebäuche: B, D, P und verwandte Formen.

Ein Schreibtrick?
Anfänge faszinieren mich. Wie stelle ich es an, dass sie überraschend sind, einen sofort packen? Beispiel: Mit einem Gedanken reingehen. Von der Seite zu kommen. Du, sag mal… Oder: Hast du dich nicht auch schon gefragt…? Im Binnentext geht das auch. En passant einen inneren Monolog reinstreuen. Muss aber fein gemacht sein, nicht künstlich-aufdringlich.

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Die lauen, halbstark-halbschwachen, die halt geschrieben sein mussten im Alltag. Aber würde ich sie heute besser schreiben? Wahrscheinlich nicht.

Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
„Der schöne Sommer ‘45“ in meinem ersten Buch beschreibt den Untergang Breslaus, der Heimatstadt meines Vaters. Leute, die mich und meine Sachen gut kennen, sagen, da sei eine dichte Beschreibung des NS in seiner Zeit gelungen.

Gutes Redigieren heißt für dich?
Dem Autor seine Stimme lassen.

Welchen Text einer anderen Autor:in hättest du gern selbst geschrieben?
Unerreicht Werner Herzogs „Vom Gehen im Eis“. Ich wünschte, ich könnte so etwas schreiben. Bleibt wohl ein Traum.

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Den würde ich gern kennen.

Ein Buch, das dich journalistisch geprägt hat (und warum)?
„Die Angst der Deutschen“ von Jürgen Leinemann. Als junger Mann gelesen. Da war ein neuer Ton im Journalismus, der mich damals faszinierte. Habe es neulich wiedergelesen und dachte, das würdest du jetzt aber ganz anders schreiben.

 

Wolfgang Büscher, geboren 1951 bei Kassel, ist Schriftsteller und Autor für die "Welt". Anfang der 1980er Jahre begann er als freier Reporter, berichtete für den epd und den "Spiegel" über die DDR, bis diese ihm Einreiseverbot erteilte. Spätere Stationen waren das "SZ-Magazin", das Dossier der "Zeit", das "Zeit-Magazin" und die "Welt", wo er das Ressort Investigation und Reportage leitete und heute Autor ist. Er schrieb Reiseliteratur-Bestseller wie «Berlin – Moskau» oder Zuletzt „Heimkehr“ und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurt-Tucholsky-Preis, dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis und dem Ludwig-Börne-Preis.

Wolfgang Büscher bei WELT