Juan Moreno, wie arbeitest Du?

Musst du nach Buch und Film überhaupt noch arbeiten?
Nein, das muss ich nicht mehr. Ich, meine Kinder, meine Enkel und Urenkel, wir sind für alle Zeiten durch. Ich lebe von den Zinseszinsen. Wie alle, die ein Buch geschrieben haben.

Schreibst du noch Reportagen?
Ich schreibe noch Reportagen, habe gerade einen Auftrag von mare angenommen.

Was machst du jetzt?
Primär Podcasts. Das hängt mit Corona zusammen. Da ich nach dem Relotius-Skandal ins Auslandsressort des SPIEGEL gewechselt war und das Reisen während Corona schwierig wurde, hatte Matthieu von Rohr, Ressortleiter Ausland, die Idee, mich einen Auslands-Podcast moderieren zu lassen. „Acht Milliarden“ war – nicht zuletzt dank Trumps Corona-Wahnsinn – extrem erfolgreich. Später moderierte ich den täglichen Podcast „Spiegel Daily“, bald kommt was Neues.  

Was vermisst du in der Rückschau am meisten am hochgezüchteten Reportageschreiben, was gar nicht?
Ich vermisse Mut in den Texten. Bilde mir aber ein, dass es besser wird. Ich vermisse nicht das Auftreten einiger  „Reporterstars“ in den Jahren vor dem Relotius-Skandal.

Wo nimmt der Film sich künstlerische Freiheiten?
Ich vergesse meine Kinder nicht im Bus.

Wenn du auf die Wochen des Skandals zurückschaust, wo lagst du mit deiner Einschätzung am meisten daneben/ welche Aufregung hättest du dir sparen können?
Eine der großen Lektionen dieser Zeit lautet: „Man lernt nie so viel über Journalismus, wie in den Momenten, in denen man Gegenstand der Berichterstattung ist". Diesen klugen Satz hat mir Armin Wolf gesagt. Er könnte nicht wahrer sein.

Als junger Reporter/junge Reporterin zum Spiegel: Früher hätte man eher davon abgeraten, weil: starker Druck und übermächtiger Haus-Stil. Wie siehst du das heute?
Meines Erachtens hat sich in dieser Beziehung fundamental nicht viel geändert.

Ein Recherchetrick?
Zuhören. Wirklich erstaunlich, was man erfährt, wenn man kein fertiges Bild im Kopf hat.

Ein Schreibtick?
Wenn der Text wirklich wichtig ist, wirklich, wirklich wichtig, dann muss ich auf einem ganz bestimmten Stuhl sitzen. Auf dem habe ich meine ersten Texte für die SZ geschrieben. Unfassbar geschmackloses Ding.

Ein Schreibtrick?
Große Reportagen handeln oft – wenn man sie auf ihren Kern reduziert – von großen universellen Themen wie Wahrhaftigkeit, Vernunft, Demut, Moral: Ulrich Wickert hat mal vor Jahren „Das Buch der Tugenden“ vorgelegt. Eine Sammlung großer Texte von großen Denkern (Aristoteles, Frisch, Goethe, Camus, Schopenhauer, etc). zu den großen Themen der Menschheit. Es hat mir schon häufiger geholfen, wenn ich mich fragte, wofür das, was ich erlebt hatte während der Recherche, eigentlich steht.   

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Ich habe mal für die SZ-Medienseite einen unfassbar bösen Stuckrad-Barre-Text geschrieben. Er war fies. Fast niederträchtig. Meine Ausrede ist: Ich war jung und wusste es nicht besser. Diesen Text brauchte kein Mensch.  

Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Ich habe von einem sehr berühmten Sportler mal etwas erfahren, das rein journalistisch eine Bombe gewesen wäre. Er wollte, dass ich es schreibe, aber ich wusste, dass es ihm sehr bald, sehr leid tun würde. Ich tat es nicht, und heute ist er mir dankbar dafür. Mit anderen Worten: Ich habe meinen Job nicht gemacht und habe einen Text nicht geschrieben, der mir ein wenig geholfen und ihn zerstört hätte. Da es keinerlei gesellschaftliche Relevanz hatte, musste das niemand erfahren. Darauf bin ich stolz.

Gutes Redigieren heißt für dich?
Sein Ego daheim zu lassen. Jemanden redigieren ist wie jemanden trainieren, es geht um den Erfolg des anderen. Können nicht alle.

Welchen Text eines anderen Autors, einer anderen Autorin hättest du gern selbst geschrieben?
So ziemlich alles, was Eva Menasse über aktuelle gesellschaftliche Themen schreibt.

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Erzählt die Geschichten Eurem Umfeld. Womit fangt Ihr an, was bewegt wirklich. Das dann merken und aufschreiben. Eigentlich ganz einfach. Geheimtipp zwei, der nicht geheim ist: Schreiben heißt wegwerfen, also werft alles Überflüssig weg, und wenn Ihr nicht sicher seid, ob es überflüssig ist – dann ist es überflüssig.

Ein Buch, das dich journalistisch geprägt hat (und warum)?
Deutsch für Profis. Klassiker, bis heute richtig. Und Sol Steins „Über das Schreiben", obwohl (ich würde sagen, gerade weil) es nicht um journalistisches Schreiben geht.

Juan Moreno, geboren 1972, hat VWL studiert und die DJS absolviert. Bis 2010 war er Autor und Kolumnist für die "Süddeutsche Zeitung". Danach schrieb er vorwiegend für das Gesellschaftsressort des SPIEGEL, seit 2020 ist er Host verschiedener SPIEGEL-Podcasts. 2018 deckte er den Relotius-Skandal auf.

Juan Moreno bei DER SPIEGEL