Was hast du übers (schnelle) Schreiben gelernt, seit du einjährige Zwillige zuhause hast?
Ich habe gelernt wie kostbar, ja unverzichtbar, ruhige, ungestörte Zeit fürs Schreiben ist – und dass ich erstaunlicherweise auch nach Nächten mit fünf Stunden Schlaf noch Sätze in den Computer tippen kann, die lesbar sind.
Deinen Reporter:innen-Preis hast du als Freier gewonnen, inzwischen bist du Redakteur bei Zeit Online: Wie haben sich die Bedinungen fürs Schreiben langer Texte verändert?
Ich habe das große Glück bei Zeit Online in einem Ressort zu arbeiten, dass Autoren sehr viel Freiheit gibt und sehr viel Zeit für Recherchen. Also glücklicherweise hat sich gar nicht so viel geändert. Früher hat mich mein Bankkonto daran erinnert, den Text endlich fertigzuschreiben, jetzt tut es mein Ressortleiter.
Wie sorgt man als Online-Redakteur dafür, nicht ständig davon verführt zu werden, mit schnellen Aufreger-Texten viele Klicks zu produzierne?
Ich habe direkt nach der Journalistenschule mal einen Meinungstext über Prostitution geschrieben. Danach haben mir lauter Männer ihre Kastrationsfantasien geschickt. Das war eine ziemlich heilsame Erfahrung. Nie wieder.
Du hast Ideengeschichte in Cambridge studiert, ist Takis Würger da noch ein Name?
In Cambridge zählt man eigentlich nichts, bis man nicht mindestens einen Doktor und eine dreihundertseitige Monographie über jemanden wie Samuel von Pufendorf vorgelegt hat. Darauf warten wir bei Takis ja noch.
Nochmal zur Ideengeschichte: Wie informiert dein Wissen über das Denken unserer Zeit deinen Journalismus?
Ich befürchte, dass ich das Denken unserer Zeit durch das Studium in Cambridge nicht sehr viel besser verstehe als andere. Was in Cambridge gelehrt wird, ist vor allem eine besondere Art historische, philosophische Texte zu lesen. Der Kerngedanke ist recht einfach: Mehrere hundert Jahre alte Gedanken versteht man nur dann, wenn man ihren Kontext ausleuchtet. Also zum Beispiel: Ist es wirklich ein Ausdruck von Religiosität, wenn Thomas Hobbes in seinen Texten immer wieder auf Gott Bezug nimmt? Oder einfach nur eine Art und Weise, seine Texte am Zensor vorbei zu bekommen? Es ist eine nervenaufreibend aufwändige, sehr vorsichtige Art, sich der Vergangenheit zu nähern. Aber den Kern dieser Haltung finde ich auch als Journalist hilfreich: Erst einmal zu fragen, ob etwas wirklich so offensichtlich ist, wie es zunächst den Anschein hat. Oder verändert sich die Bedeutung von dem, worüber man schreibt nicht vielleicht dramatisch, wenn man mehr über den Kontext weiß?
Kann es sein, dass es in Reportagen oft erstaunlich wenig Bewusstsein dafür gibt, von welchen Ideen man als Schreiber/in vorgeprägt ist?
Ja, das stimmt wohl. Aber es ist nahezu unmöglich, sich des gesamten Gepäcks an Vorurteilen, Neigungen und Ideen bewusst zu werden, das man hineinträgt in eine Geschichte. Man merkt das, glaube ich, oft erst hinterher, wenn die Texte zehn, zwanzig Jahre alt sind. Ich habe vor einiger Zeit die Alexander Gorkow-Reportage über Rammstein aus dem SZ-Magazin wieder angeschaut, die ich damals fantastisch fand – und heute eher peinlich finde. Gorkow vergleicht da den Keyboarder zum Beispiel mit Robert Walser und ist ganz begeistert, als der Manns ihm die große Lebensweisheit – "Man fickt. Oder man fickt nicht. ’N bisschen ficken geht nicht" – in den Block diktiert. Und irgendwie wird einem da plötzlich klar, wie sehr der Reportage-Journalismus damals in diese Art von Macho-Pose verliebt war, in diese Idee vom unangepassten, groben, kreativen Mann. Und dass diese Zeit jetzt vorbei ist.
Du schreibst für einen relativ jungen Reporter auf eine subtile Weise sehr gut – jüngere Leute drehen oft mehr auf, um auf sich aufmerksam zu machen. Kannst du mit der These was anfangen?
Ich würde die umgekehrte Beobachtung machen: Die Jungen schreiben oft eher nüchtern, eher zurückhaltend, fast zu diszipliniert. Beim letzten Reporterpreis sagte Wolfram Eilenberger nach der Jurysitzung, dass er gerade bei den im Schnitt eher jungen, freien Reportern das Gefühl hatte, dass sie zu gleichförmig schrieben. Es sind meiner Beobachtung nach eher die Älteren, die komplett überdrehen, weil sie es sich erlauben können. Die schrägsten Metaphern im deutschen Journalismus benutzt Gabor Steingart, kein 20-jährige Volontär.
Ein Recherchetrick?
Ziemlich langweilig, aber wirklich hilfreich: Einmal gucken, was es an wissenschaftlichen Aufsätzen zu einem Thema bei Google Scholar gibt. Zwei, drei Tage damit verbringen, wenn es geht, fürs Fundament.
Ein Schreibtick?
Ich schreibe Texte oft zuerst in nummerierten Fragmenten. Aus irgendeinem Grund, den ich selbst nicht ganz verstehe, fällt es mir leichter, zunächst Miniaturen zu schreiben. Erst in einem zweiten Schritt setze ich das dann zu einem Fließtext zusammen.
Ein Schreibtrick?
Morgens, bevor man loslegt, ein paar Seiten wirklich gute, wirklich schöne Prosa lesen, egal ob Roman oder Magazingeschichte. Hilft sehr, um in den Rhythmus zu kommen.
Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Ich habe im Praktikum bei der Süddeutschen mal einen dieser Panorama-Texte über eine konsumkritische Aktivistin geschrieben, die als Initiative ein "Ministerium des Glücks" ausgerufen hatte. Und ich bin dabei in so einen überheblichen, ironischen Ton reingerutscht, der mir schon am Tag danach leid tat und heute eigentlich noch mehr.
Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Auf das Buch, das ich geschrieben habe, „Das Unglück schreitet schnell“. Das ist immer noch mein persönlichster, aufwändigster, auch experimentellster Text – und lag leider wie Blei im Buchladen.
Welchen Text einer anderen Autor:in hättest du gern selbst geschrieben?
"I will forever remain faithful" von David Ramsey aus dem Magazin Oxford American ist ein fantastischer Text, aus zerstückelten Fragmenten zusammengesetzt, etwas, das eigentlich gar nicht funktionieren dürfte und es trotzdem tut.
Ein Buch, das dich journalistisch geprägt hat (und warum)?
Ich kehre eigentlich immer wieder zu "Slouching towards Bethlehem" und dem "White Album" von Joan Didion zurück, wenn ich das Gefühl habe, dass ich den richtigen Tonfall für einen Text nicht treffe. Gar nicht, um Didion zu imitieren, aber weil es hilft daran erinnert zu werden, wie elegant journalistisches Schreiben sein kann.
Johannes Böhme, geboren 1987, ist Redakteur im Ressort X von Zeit Online. Vorher hat er mehrere Jahre als freier Reporter gearbeitet, unter anderem für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, brand eins, das Zeit Magazin und Geo. 2019 erschien sein Debütroman "Das Unglück schreitet schnell" bei Ullstein. Er machte seinen Master in Politischer Theorie und Ideengeschichte in Cambridge und besuchte danach die Henri-Nannen-Schule.