Julia Friedrichs, wie arbeitest Du?

Ein Schreibtick?

Meistens schreibe ich mehrere Einsteige und finde alle doof. Wenn dann meine Mitbewohnerin einkaufen geht und fragt, ob sie was mitbringen soll, sage ich manchmal: Ja, ich brauche einen neuen Einstieg. Woraufhin sie sagt: Nee, da sind noch fünf da, mindestens. Ich: Die sind schlecht geworden. Sie: Die sind einwandfrei. Dann geht sie einkaufen, und ich schaue mir noch mal die Einstiege an, und meistens nehme ich dann doch den allerersten, den ich geschrieben habe.

Ein Schreibtrick?

Über Geschichten reden. Dann spürt man nämlich an den Reaktionen, ob etwas wirklich spannend ist, ob ein Gedanke funktioniert, ein Zitat. Wir sollten überhaupt mehr über Geschichten reden, ganz grundsätzlich.

Gutes Redigieren heißt für Dich...?

Einen Text besser machen, indem man ihn auseinandernimmt. Und kürzen. Kürzen geht immer.

Eine Schreib-/Erzähl-Konvention, die wir alle mal überdenken sollten

„Als Klaus aus dem Fenster schaute, begann sein neues Leben.“ Ich finde so Texteinstiege echt schwierig, weil sie einen Zusammenhang konstruieren, der gar nicht da ist. Ein Leben beginnt nicht einfach neu, weil man aus dem Fenster guckt, zumindest konnte ich das noch nie bei einer Recherche so beobachten. Ich glaube, solche Pseudo-Fallhöhen entstehen auch deshalb, weil der erste Satz immer noch so glorifiziert wird. Wie ein Bodybuilder, der nur die Arme aufpumpt, und der Rest vom Körper sieht aus wie Pudding. Dabei ist es doch viel wichtiger, wie eine Geschichte insgesamt aufgebaut ist, wie sich die Idee in den ersten Absätzen entwickelt, wie man sie anlegt, welchen Sound sie hat. Dann nimmt man auch Druck beim Schreiben raus, das ist quasi der perfekte Nebeneffekt.

Welchen Text einer, eines anderen bewunderst du?

Cornelius Pollmer, der in der SZüber einen Eimer im Berliner Hauptbahnhof geschrieben hat, direkt unter Gleis 11. Alles daran finde ich großartig: Die Tatsache, dass Pollmer da stehen geblieben ist, wo jeden Tag Tausende vorbeilaufen, an einem Eimer im Hauptbahnhof. Dann diese einfache Frage zu stellen, warum da ein Eimer steht. Und dann einen Text zu schreiben, der ohne Kitsch und Häme von Berlin und der Bahn erzählt – anhand eines Eimers und eines Lecks.

Was fällt Dir auf, wenn du zehn, zwanzig Jahre alte Geschichten liest?

Ich finde, dass früher ausschweifender geschrieben wurde und mehr Zeit auf die sehr, sehr ausführliche Beschreibung von Szenen verwendet wurde. Heute haben die Geschichten mehr Tempo, vielleicht auch, weil sie einfach schneller fertig sein müssen.

Wie elegant gendern?

Indem man niemals das Wort Gästin verwendet. Oder Menschin. Nicht mal ironisch. Ansonsten finde ich es nicht schlimm, wenn in einem Text nur ab und zu gegendert wird, ich habe mich da noch nie ausgeschlossen oder diskriminiert gefühlt.

Muss man als relative Anfängern hübscher schreiben, um wahrgenommen zu werden (und wie findest du das)?

Ja, ich glaube schon. So wie in jedem Beruf: Der Einsteiger muss erst mal zeigen, was er oder sie kann. Das finde ich okay, schwieriger finde ich eher, dass man als junge Redakteurin nicht immer ernst genommen wird, zum Beispiel, wenn man sagt: „Das fand ich gut, und an der Stelle bin ich gestolpert.“ – „Sind nur Sie da gestolpert?“

Was nervt Dich an der Branche?

Dass sich viele bei Twitter so krass feiern, und es dabei oft nur um die eigene Bestätigung geht. Ein Bäcker stellt sich ja auch nicht hin und sagt: „In eigener Sache, ich habe heute großartige Brötchen gebacken, Direct Messages für Glückwünsche offen“. Ich finde das anstrengend und glaube auch, dass es der Branche nicht guttut.

Was können wir von jungen Autorinnen lernen?

Habe mal meinen alten, äh, älteren Kollegen gefragt. Er sagt, manche jüngeren Autorinnen seinen politischer und hätten noch Lust, wirklich rauszugehen und die Welt zu entdecken. Ältere Autoren haben vielleicht eher die Schnauze voll von allem und schreiben lieber das auf, was sie schon gesehen haben (vieles) und was sie schon wissen (alles).

Elisa Schwarz, geboren 1991, hat in Tübingen, Konstanz und Osaka Medien- und Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Seit 2019 arbeitet sie bei der Süddeutschen Zeitung und schreibt für die Seite Drei Reportagen und Portraits

Elisa Schwarz bei der SZ