Alexandra Rojkov, wie arbeitest Du?

Wo bist du jetzt?

Ich bin Mitte März zurück nach Berlin gekommen. Mein Kopf ist immer noch in der Ukraine.

Fährst du wieder hin?
Ja. Weil der Krieg länger dauert als erwartet, haben wir ein Rotationssystem für uns ReporterInnen eingeführt. Wir müssen unsere Kräfte einteilen, um dauerhaft von der Front berichten zu können. Aktuell sind drei Kollegen im Land – wenn einer gehen möchte, ersetze ich ihn.

Normalerweise geht es in diesem Fragebogen um Stil, was im Angesicht des Krieges trivial wirkt. Andererseits sind Stil und Inhalt untrennbar verbunden: Wie also schreibt man, wenn man über Menschen schreibt, deren Leben bedroht ist?
Genauso wie über Menschen, deren Leben nicht bedroht ist: Mit einer Mischung aus Empathie und kritischer Distanz, was wie ein Widerspruch klingt, aber keiner ist.

Interessante Nachrichtenquelle, um sich über den Krieg zu informieren?
Die New York Times, die Washington Post und auch der Spiegel haben mehrere ReporterInnen vor Ort, unter anderem Kollegen, die seit Jahren über die Ukraine berichten. Ich traue ihrem Urteil.

Kann man zurückfahren, ohne mit den Menschen, über die du berichtet hast, in Kontakt zu bleiben/ihnen weiter zu helfen?
Nein, und das ist auch in Ordnung. Meine Spiegel-Kollegin Katja Lutska ist zum Beispiel immer noch in Kyiv, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denke. Ich habe ihr meine Wohnung in Berlin angeboten, aber sie möchte ihre Heimatstadt nicht verlassen, was ich nachvollziehen kann. Mit diesem Dilemma muss ich leben, mit der Hilflosigkeit auch.

Ein paar Gedanken zu der Frage, wie sich der journalistische Stil ändert oder ändern sollte, wenn man aus einem Kriegsgebiet berichtet?
Weil der Krieg so unerwartet ausbrach, musste ich in den ersten Wochen vor allem verstehen: Wo schlafe ich, wo ist es sicher, wie komme ich von A nach B? Nebenbei habe ich berichtet, aber es fühlte sich oft an, als müsste ich auf einem Laufband sprinten und gleichzeitig ein Bild malen. Unter solchen Bedingungen werden Texte floskelhafter und einfallsloser. Eine gute Vorbereitung schützt also nicht nur Leben, sondern macht auch die Arbeit besser, weil die Logistik weniger geistige Ressourcen beansprucht.

Ein Moment/eine Szene die du nicht vergessen wirst?
Ich bin während der zweiten Nacht des Krieges aus meinem Hotel in Kyiv in eine Metrostation geflüchtet, die als Bunker diente. Dort schliefen Dutzende Menschen auf dem Boden, Kinder weinten. Wenn sich eine Metropole binnen Stunden in ein Kriegsgebiet verwandelt, verschwindet jedes Sicherheitsgefühl. Ich bin nicht sicher, ob es jemals zurückkehrt.

Ein Recherchetrick?
Ich erkläre Gesprächspartnern vorab, dass ich sehr detailreich schreibe und deshalb viele vermeintlich unsinnige Fakten brauche. Klingt banal, vermeidet aber Irritationen.

Ein Schreibtick?
Meine produktivste Zeit ist morgens zwischen 6 und 10 Uhr. Was ich davor oder danach schreibe wird fast immer schlechter.

Ein Schreibtrick?
Ich habe eine Lockbox, in der ich an Schreibtagen mein Handy einschließe. In dieser Zeit nutze ich ein altes Nokia und warne Kollegen vor, dass sie mich anrufen können, ich aber nicht auf Nachrichten reagiere. So verpasse ich nichts Dringendes, werde aber nicht ständig abgelenkt.

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Bei jedem Text fällt mir später etwas auf, das ich gern ändern würde.

Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Ich bin stolz darauf, es als Migrantin ohne Kontakte oder Vorwissen in den Journalismus geschafft zu haben, nicht auf einzelne Artikel.

Gutes Redigieren heißt für dich?
Genauso wie beim Schreiben: eine Mischung aus Empathie und kritischer Distanz. Die besten Redigatoren schaffen es, herauszuarbeiten, was man als AutorIn sagen wollte, aber manchmal nicht konnte, ohne einem Text den eigenen Stil oder Inhalt aufzudrücken.

Welchen Text einer anderen Autorin oder eines anderen Autors hättest du gern selbst geschrieben?
Alle von Bastian Berbner, der nicht nur ein fantastischer Erzähler ist, sondern einer der klügsten Menschen, die ich kenne.

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Liegenlassen, warten, in zwei Tagen nochmal lesen. Oder in zwei Wochen, wenn das möglich ist. Und dann gnadenlos kürzen oder neu schreiben, was nicht funktioniert.

Ein Buch, das einem hilft, die Ukraine oder auch Russland zu verstehen?
„Die Zukunft ist Geschichte“ von Masha Gessen. Sie beschreibt, wie Stalinismus und sowjetischer Sozialismus viele Russen traumatisiert haben – und wie dieses Trauma bis heute nachwirkt. Nun zerstört es auch die Ukraine.

Eine Bloggerin/Nachrichtenwebsite aus Russland oder der Ukraine, die du noch empfehlen möchtest?
Die Fotografin Julia Kochetova (@seameer) dokumentiert auf Instagram ihren Alltag in Kyiv. Ihre Bilder und Texte sind voller Schmerz, aber auch Liebe zu ihrer Stadt. 

Alexandra Rojkov, 34, geboren in St. Petersburg, aufgewachsen in Schwaben. Henri-Nannen-Schule, danach freie Reporterin, unter anderem für Geo und das SZ-Magazin. Dazwischen das Studium geschmissen und dreimal das Land gewechselt. Seit Juni 2019 Redakteurin im Auslandsressort des SPIEGEL.

Alexandra Rojokv beim SPIEGEL