Sonderpreis für Stanis Bujakera Tshiamala


Der Sonderpreis des Deutschen Reporter:innen-Forums geht 2023 an Stanis Bujakera Tshiamala, 33, in der Demokratischen Republik Kongo. Er ist Korrespondent der Zeitschrift Jeune Afrique und der Nachrichtenagentur Reuters in Kinshasa, sowie Mitgründer und stellvertretender Chefredakteur von Actualité.cd, eines der wenigen seriösen Online-Medien in dem zentralafrikanischen Land.

Kritische Journalist:innen in der DR Kongo werden immer wieder massiv bedroht und angegriffen. Mit über einer halben Million Followern auf X zählt Bujakera heute zu den populärsten Journalist:innen im Land. Das allein macht ihn in den Augen von Justiz und Politik zu einer Gefahr.

Am 8. September 2023 wurde er verhaftet und sitzt inzwischen im berüchtigten Makala-Gefängnis in Kinshasa ein. Ihm wird vorgeworfen, hinter einem Artikel in Jeune Afrique vom August dieses Jahres zu stehen, in dem über die mögliche Beteiligung des Geheimdienstes an der Ermordung eines ehemaligen Ministers berichtet wird. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der „Verbreitung von Gerüchten“ und „Verbreitung von Falschnachrichten“. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm zehn bis 15 Jahre Haft.

Bujakera gehört zu einer jungen Generation von Journalist:innen, die in der DR Kongo in den vergangenen Jahren eine seriöse, kritische und unabhängige Berichterstattung aufgebaut haben. Die DR Kongo wird, von westlichen Medien weitgehend unbeachtet, seit drei Jahrzehnten von Kriegen, Korruption, politischer Gewalt und der Plünderung von Rohstoffen zerrüttet.

Bereits 2011, mit gerade einmal 21 Jahren, berichtete er kritisch über die vermutlich manipulierten Präsidentschaftswahlen in seinem Land. Unter dem Regime des ehemaligen kongolesischen Präsidenten Kabila wurde er mehrfach verhaftet. Davon ließ er sich ebenso wenig einschüchtern wie durch die zahlreichen Drohungen, die er in der Amtszeit des jetzigen Präsidenten Etienne Tshisekedi erhalten hat. Ein Angebot, dessen Presseteam beizutreten, lehnte er 2020 ab.

Es sind Kolleg:innen wie Bujakera, die die Hoffnung von Millionen ihrer Landsleute auf Reformen, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit aufrecht erhalten. Wir bewundern, wie mutig und ausdauernd er für die Zukunft seines Landes kämpft. Wir fordern seine sofortige Freilassung. Und zeichnen ihn mit dem Sonderpreis des Reporter:innen-Forums aus.

 

Hier die eindrückliche Laudatio von Andrea Böhm:

"Guten Abend,

ich tue vermutlich niemandem Unrecht, wenn ich sage, dass die meisten von uns den Namen Stanis Bujakera Tshiamala bis jetzt nicht kannten. Was nicht an ihm liegt. Sondern daran, dass seine Heimat, die Demokratische Republik Kongo, in unseren Medien, wenn überhaupt, nur als Hotspot für Kriege, Korruption und andere Katastrophen vorkommt. Nicht aber als ein Land, in dem es unabhängigen, kritischen, hochprofessionellen Journalismus gibt.  
Also lassen Sie mich Ihnen diesen Mann vorstellen.

Stanis Bujakera Tshiamala ist kein Kriegsberichterstatter, obwohl es in seinem Land ständig irgendwo Krieg gibt. Er ist auch kein Investigativ-Journalist, obwohl Skandale zu den unerschöpflichen Ressourcen der DR Kongo gehören.
Er ist ein Hauptstadt-Reporter. Einer, der in Kinshasa die Machtgeflechte, die Intrigen, die Deals, die politischen und wirtschaftlichen Eliten so gut kennt und so gut beschreibt wie wohl kein anderer. Und diese Deals und Intrigen können, anders als bei uns, im Kongo über Leben oder Tod vieler Menschen entscheiden.

„Grosses legumes“, das fette Gemüse, nennen die Kongolesen und Kongolesinnen die Mächtigen in ihrem Land. Die „grosses legumes“ zeichnen sich – formulieren wir es vorsichtig – nicht durch ihren Sinn für das öffentliche Gemeinwohl aus. Wer sich ein wenig mit der Geschichte der DR Kongo beschäftigt hat, der weiß, dass dieses Land seit rund 150 Jahren ausgebeutet und ausgeblutet wird. Zuerst durch die belgischen Kolonialherren, seit der Unabhängigkeit 1960 durch eigene Regierungen, eng verbandelt mit ausländischen Konzernen und Staaten, die vor allem eines wollten – und wollen: Rohstoffe, Rohstoffe, Rohstoffe.
Zum Selbstverständnis der „grosses legumes“ gehört, dass alles käuflich ist: die Lizenz für die Ausbeutung von Kobalt-oder Coltan-Minen, das Ministeramt, die Beförderung in der Armee; die Wählerstimmen, die Presse.
 
Und dann taucht da plötzlich eine Generation junger Journalist:innen auf, die sich nicht nur nicht kaufen lassen, sondern mit ihrem unabhängigen Journalismus auch noch Erfolg haben. Vorneweg dabei ist Stanis Bujakera Tshiamala.
Er wusste schon als Teenager, dass er Journalist werden wollte, studierte Kommunikationswissenschaften. Mit 21 wurde er Reporter und Redakteur bei einer kongolesischen TV-und Radio-Station. Wir schreiben das Jahr 2011, der amtierende Präsident Joseph Kabila hat sich in – gelinde gesagt – umstrittenen Wahlen eine zweite Amtszeit gesichert. Unter anderem dank der Panama-Papers weiß man inzwischen, dass Kabila und seine Entourage das Land ausgenommen haben wie einen Truthahn.
 
Stanis Bujakera fängt sich bald die ersten Morddrohungen aus dem Umfeld der Regierungspartei ein. Unter anderem, weil er darauf hinweist, dass der Präsident gegen die Verfassung verstößt, wenn er auf einer dritten Amtszeit besteht und Wahlen hinauszögert.
Statt klein beizugeben, verklagt Bujakera diejenigen, die ihn bedrohen. Zu diesem Zeitpunkt ist er 26. Und natürlich weiß er, was mit Leuten passieren kann, die hartnäckig die Zustände im Land offenlegen. Oder einfach nur auf die Verfassung pochen. Er wird immer wieder bedroht, einige Male festgenommen.

Internationale Nachrichtenagenturen werden auf ihn aufmerksam, er schreibt erste Artikel für Reuters. 2019 heuert ihn das panafrikanische Magazin „Jeune Afrique“ als Korrespondenten an. Da ist in der Demokratischen Republik Kongo gerade ein neuer Präsident an die Macht gekommen, wieder waren die Wahlen – gelinde gesagt – fragwürdig verlaufen. Aber viele Menschen hoffen auf diesen Mann, der Felix Tshisekedi heißt und der hoch und heilig schwört, die Pressefreiheit zu achten. Stanis Bujakera kennt ihn gut, er hat seinen Wahlkampf begleitet. Wie er überhaupt fast jeden im politischen Geschäft inzwischen gut kennt. Er hat ein großes Netz an Kontakten. Und vor allem hat er eine enorme Reichweite.
Denn noch viel wichtiger als Jeune Afrique ist für die Kongolesinnen und Kongolesen das Onlinemedium „Actualité.cd“, das Bujakera mitgegründet hat und dessen stellvertretender Chefredakteur er ist. „Actualité.cd“ gehört zu den wenigen seriösen Nachrichtenquellen im Land und zählt heute zu den meistbesuchten Websites im Kongo. In einem Land, in dem Fake News nur so sprießen, ist das ein gewaltiger Erfolg. Dieser Erfolg beruht auf der Integrität der Journalist:innen. Und der mit Abstand bekannteste ist Stanis Bujakera. 2020 wollte ihn die Regierung   Tshisekedi in ihre Presseabteilung holen. Er lehnte ab. Das ist ein Grund, warum heute über eine halbe Millionen Menschen seinem X/vormals Twitter-Account folgen.
Wenn Sie eine Vergleichsgröße brauchen: Paul Ronzheimer hat 196.000 Follower.

Auch unter Felix Tshisekedi ist es um die Pressefreiheit und um die Sicherheit von Journalist:innen im Kongo schlecht bestellt. Die kongolesische NGO „Journalists en danger“ hat seit Tshisekedis Amtsantritt fünf Morde an Journalist:innen und über 500 Attacken auf Reporter:innen und Redaktionen dokumentiert: Drohungen, Überfälle, Verhaftungen, Schließungen von Medienbüros, Zensur von Programmen.
Es passt leider in einen kontinentalen Trend. Nach Jahrzehnten der Liberalisierung in den 1990er und frühen 2000er Jahren wird die Pressefreiheit in vielen afrikanischen Staaten wieder eingeschränkt. Durch drakonische Gesetze zur Kontrolle von Online-Medien, durch Einschüchterung, durch Gewalt.
Man kann das als Ausweis des Erfolges dieser neuen Generation von Journalist:innen sehen, die in den vergangenen Jahren Korruptionsskandale aufgedeckt, investigative Netzwerke aufgebaut oder eben Medien geschaffen haben wie „Actualité.cd“. Sie werden den Regierenden zu gefährlich.

Am 8. September 2023 wurde auch Stanis Bujakera Tshiamala verhaftet. Seit fast drei Monaten sitzt er im berüchtigten Makala-Gefängnis in Kinshasa. Ihm wird vorgeworfen, zu einem Artikel in „Jeune Afrique“ vom August dieses Jahres beigetragen zu haben, in dem über die mögliche Beteiligung des militärischen Geheimdienstes am Mord eines Oppositionspolitikers berichtet wird. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der „Verbreitung von Gerüchten“ und „Verbreitung von Falschnachrichten“. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm mindestens zehn Jahre Haft.
Bujakera bestreitet die Vorwürfe. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder das „Committee to Protect Journalists“ halten sie für vorgeschoben.

„Wenn Du nicht für uns bist, bist Du gegen uns“. Solche und andere Drohungen hat er in den Wochen vor seiner Verhaftung aus Regierungskreisen erhalten. Denn er hat weiter unabhängig über die Zustände im Land berichtet, auch über die notorisch korrupte Armee, die derzeit im Osten des Kongo wieder Krieg führt gegen Rebellen. Die Regierung hat die Presse zu „patriotischem Journalismus“ aufgefordert. Das ist nicht der Journalismus für den Stanis Bujakera steht. Und einigen in Regierungskreisen dürfte es sehr gelegen kommen, wenn der Journalist mit der größten Reichweite im Land die nächsten Präsidentschaftswahlen aus einer Gefängniszelle heraus verfolgen muss. Die finden in zwei Wochen statt. Am 20. Dezember.
Wir bewundern Stanis Bujakera Tshiamala für seinen Mut und seine Unabhängigkeit und zeichnen ihn heute mit dem Sonderpreis des Reporter:innenforums 2023. Mit ihm ehren wie auch all seine Kolleg:innen in der Demokratischen Republik Kongo, die sich in diesen Zeiten weder den Mund verbieten noch ihre Berufsehre nehmen lassen."

 

 

Die Ausschreibung

Seit 2009 verleihen wir am ersten Montag im Dezember den Reporter:innen-Preis - aktuell in zwölf Kategorien, von Reportage bis Investigation, von Essay bis Datenjournalismus. Inzwischen ist der schwere Messingstift - er erinnert an einen vielfach angespitzten Bleistift - eine begehrte Trophäe im deutschsprachigen Journalismus.

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Die Jury

Ein Journalistenpreis kann nur so gut sein wie seine Jury. Wer über die besten Texte des Jahres urteilen will, braucht ein feines Ohr. Und das haben unsere Jurorinnen und Juroren. Einige entstammen dem Printjournalismus, aber es sind auch Fernsehleute dabei, Schauspieler, Wissenschafterinnen, Unternehmer.

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