Begründungen der Jury

Beste Reportage  

Ein Frachter auf dem Weg nach China. Ein Taifun. Eine verzweifelte Crew. Mit seiner Reportage Dem Sturm ausgeliefert nimmt Moritz Aisslinger in der ZEIT seine Leser:innen mit in eine unbekannte Welt, in der alle paar Tage ein größeres Schiff verloren geht. Einem solchen Fall geht Aisslinger nach und wir erleben hautnah, wie der Kapitän der Gulf Livestock 1 seinen Frachter mit 43 Mann und 5.867 Kühen an Bord über den Pazifik und in die Katastrophe steuert. Am Ende überleben zwei Männer, alle anderen sind tot oder verschollen.


Freie Reportage

Angela Köckritz nimmt uns mit auf eine Reise zum Ich – und zu der Psycho-Substanz Psilocybin. Ist das gut für die Seele? ist ein neugieriger, unvoreingenommener Text in der ZEIT über die Renaissance der Psychedelika. Köckritz begleitet den Wissenschaftler Franz Vollenweider, der erforscht, ob psychedelische Drogen depressiven Menschen helfen können. Zudem ist die Autorin bei einem Psychedelika-Retreat in den Niederlanden dabei. Sie erkennt eine “gesellschaftliche Normalisierung" von Psychedelika auch in privilegierten Schichten und stellt die Frage nach dem medizinischen Nutzen von psychedelischen Drogen.


Beste Investigation

Am 22. Februar macht sich ein Schiff in der Türkei auf den Weg nach Europa. An Bord hoffen etwa 180 Geflüchtete auf ein besseres Leben. Kurz vor Italiens Küste sinkt das Schiff. 94 Menschen sterben – darunter 35 Kinder. Simon Sales Prado, Lena Kampf und Kristiana Ludwig zeigen in ihrer ergreifenden Recherche Das verlorene Boot in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, wie eine Politik, die auf Abschreckung setzt, Menschen ertrinken lässt. Der Text ist eine Geschichte zu einem der relevantesten Themen dieser Zeit, über das immer weniger berichtet wird. Die Autor:innen setzen nicht auf platte Effekte, sondern beschreiben den Vorgang bis ins Detail.


Bester Podcast

Es ist ein Podcast, bei dem man wirklich mehrmals zurückspult. Einfach, weil man kaum glauben kann, was man da hört. Stefan Eberlein gewinnt in diesem Jahr mit seinem WDR-Podcast - gefördert von der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen - Davon haben wir keine Kenntnis – Khaled el Masri, die CIA und der deutsche Rechtsstaat die Kategorie „Bester Podcast“. Die Produktion erzählt den Fall eines deutschen Staatsbürgers, der von der CIA auf einer Urlaubsreise entführt und gefoltert wird. Dabei hat die CIA ihn verwechselt. Der Podcast ist der Kern dessen, was Journalismus ausmacht: Über Dinge sprechen, von denen mächtige Menschen nicht wollen, dass sie ans Tageslicht kommen. Und das auf “bescheidene, sorgfältige Art, die wohltuend ist”, so die Jury.


Datenjournalismus

Ist eine Frau von häuslicher Gewalt bedroht, findet sie oftmals keine Hilfe in einem Frauenhaus. Das belegt die Datenrecherche Wie ernst die Lage in den Frauenhäusern ist der diesjährigen Preisträger:innen Miriam Lenz, Nina Bender, Max Donheiser, Chiara Swenson, Pia Siber, Jonathan Sachse, Mohamed Anwar, Valentin Zick von CORRECTIV. Und sie finden auch Antworten auf das Warum. „Besonders gut gefallen hat uns bei diesem Projekt die gelungene Mischung aus datenanalytischer und herkömmlicher Recherche, aus Datenbanken auf der einen Seite, Reporterblock und Telefon-Warteschleifen auf der anderen“, heißt es zur Begründung aus der Jury.


Multimedia

Ausgebrannte Raketen, defekte Satelliten, Kollisionsbruchstücke, eingefrorene Treibstoffreste: Seit Jahren sammelt sich immer mehr Müll im All an. Julius Tröger, Paul Blickle, Robert Gast, Nicolás Pablo Grone, Andreas Loos, Axel Rudolph und Benja Zehr von ZEIT Online hat Daten der Europäischen Raumfahrtagentur ESA ausgewertet und die Dimension des Problems durch detaillierte Animationen wissenschaftlicher Daten hervorragend dargestellt. „Ein sehr informatives, spannendes und ästhetisch ansprechendes Stück, bei dem das Scrollingtelling wirklich gut funktioniert. Der oder die Leser:in bringt es so weit, Mitgefühl für das Schicksal eines der Satelliten zu haben. Unser Müll im All ist eine fantastische Recherche", urteilt die Jury einstimmig.

 

Beste Wissenschaftsreportage

Andreas Große Halbuer erzählt im FOCUS Magazin die sehr persönlichen Geschichte Das Ding in meinem Kopf von seiner Krankheit Parkinson und der riskanten Behandlung, der er sich unterzieht. Dabei schafft er den Spagat über sich selbst zu schreiben und dann wieder so, als wäre es nicht seine eigene Geschichte. Die Jury ist beeindruckt, „wie er in schonungslosem Ton über sich selbst redet, extrem berührend, aber nicht selbstmitleidig und die Geschichte souverän präsentiert.” Er macht das Thema der Volkskrankheit Parkinson nachvollziehbar und ist gleichzeitig ermutigend für alle, die es betrifft.

 

Beste Sportreportage

Beim FC Energie Cottbus geben seit Jahren Nazis und Hooligans den Ton an – Andreas Bock hat sich auf die Suche nach den anderen Fans gemacht. Denen, die sich ihnen entgegenstellen. In seinem Artikel Energiewende im 11FREUNDE-Magazin zeichnet Bock unvoreingenommen nach, wie sich der Rechtsextremismus im Stadion ausbreiten konnte. Ein halbes Jahr recherchiert er und begleitet den anonymen Fan „Lukas“ bei seinem Engagement gegen rechts. Eine Reportage von großer gesellschaftspolitischer Relevanz, befindet die Jury.

 

Beste Lokalreportage

Die Reportage Da treibt wer im Wasser in der BERLINER ZEITUNG ist ein Musterbeispiel für eine Lokalreportage. Autor Niklas Liebetrau ist der Frage nachgegangen, warum im Weißen See in Berlin-Pankow so viele Menschen ertrunken sind wie in keinem anderen Berliner See (14 Tote seit 2004).  Die Antwort ist eigentlich banal: weil sich viele der Badegäste nicht an die ausgeschilderten Regeln halten. Dahinter steckt aber viel mehr. Weißensee, schreibt Liebetrau und belegt es mit Beispielen, sei ein Symbol der “Gereiztheit der Stadt”, in der immer mehr Bewohner das Gefühl hätten, dass Politik und Verwaltung ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen. Immerhin: Der Artikel endet mit einem versöhnlichen Schluss. 

 

Bester Essay

Tobias Haberl ist katholisch. Dafür wird er von vielen kritisiert oder ausgelacht. Im SZ-Magazin schreibt er über das verwirrende Gefühl, als gläubiger Mensch nicht mehr verstanden zu werden. Und das in einer so klugen Weise und sprachlich auf höchstem Niveau, dass er dieses Jahr mit Unter Heiden den Reporter:innen-Preis in der Kategorie Essay erhält. Haberls Essay ist eine gelungene Mischung aus Reflexion und Selbstbefragung, zu einem Thema, über das selten geschrieben wird.


Bestes Interview

In dem Gespräch zwischen Elisa von Hof und der Schriftstellerin Helga Schubert (Jahrgang 1940) wird kein Fragenkatalog abgespult sondern ein Interview geführt, das vom ersten bis zum letzten Satz mit ebenso überraschenden Fragen wie Antworten aufwartet. Die Lebenserfahrung, Lebensweisheit und Lebensfreude, die die Autorin ihrer Gesprächspartnerin in Liebe ist kein Zustand, sondern Aufgabe im SPIEGEL entlockt, hat eben auch sehr viel mit dem einfühlsamen und doch selbstbewussten Auftritt der Fragestellerin zu tun. Ein Generationengespräch darüber, worauf es im Leben ankommt.

 

Beste Kulturreportage

Er sei das Symbol „für fast alles“, schreibt Maja Beckers, „was vermeintlich falsch läuft in der Welt“. Die Journalistin hat für Zeit-Online die größte Privatjet-Messe Europas besucht und herausgekommen ist der diesjährige Preisträgertext in der Kategorie Kultur. In Abgehoben auf ZEIT Online greift Beckers ein Wirtschaftsthema auf und macht daraus eine Kulturreportage. Man erfährt viel und darf sich gleichzeitig amüsieren. Die Jury überzeugte, dass der Text nicht nur ein Phänomen des Kapitalismus beschreibt, sondern in der Analyse auch in die Tiefen einer Welt vorstößt, die uns allen erstrebenswert vorkommt, aber am Ende vielleicht ärmer ist als unsere eigene, kleine mittelmäßige Erdverbundenheit.

 

Die Ausschreibung

Seit 2009 verleihen wir am ersten Montag im Dezember den Reporter:innen-Preis - aktuell in zwölf Kategorien, von Reportage bis Investigation, von Essay bis Datenjournalismus. Inzwischen ist der schwere Messingstift - er erinnert an einen vielfach angespitzten Bleistift - eine begehrte Trophäe im deutschsprachigen Journalismus.

Zur Ausschreibung

 

Die Jury

Ein Journalistenpreis kann nur so gut sein wie seine Jury. Wer über die besten Texte des Jahres urteilen will, braucht ein feines Ohr. Und das haben unsere Jurorinnen und Juroren. Einige entstammen dem Printjournalismus, aber es sind auch Fernsehleute dabei, Schauspieler, Wissenschafterinnen, Unternehmer.

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