Xifan Yang, wie arbeitest Du?

Ein Schreibtick?
Die ersten Absätze immer wieder umbauen, Zeit verplempern mit Details, die ich später sowieso wieder streiche. Den Rest des Textes dann panisch in einem Rutsch runterhacken.

Ein Schreibtrick?
„Shitty first drafts“ von Anne Lamott lesen, nimmt einem die Angst vor schlechten Entwürfen. Die erste Version ist fast immer Schrott, schreibt sie, danach geht’s weiter.

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Da fallen mir nur Texte ein, für die ich gern mehr Zeit und Platz gehabt hätte – wenig originell…

Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Zuletzt auf eine Wirtschaftsreportage über die halbgare Armutsbekämpfung in China, bei der ich das Glück hatte, mehrere Tage von den Behörden unbehelligt in einem Bergdorf zu recherchieren. Auf einige Geschichten aus Hongkong im Sommer 2019. Und natürlich auf das Porträt der chinesischen Altenpflegerin in Hannover, für das ich mir eineinhalb Jahre Zeit nehmen konnte. (Anm. d. Red.: "Die Gesandte des Konfuzius"/Reporter:innen-Preis 2020)

Gutes Redigieren heißt für Dich...?
Eine Mischung aus Fingerspitzengefühl und Gnadenlosigkeit. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, sie sind großartig darin, Dinge, die zwischen den Zeilen stehen, die die man als Autorin sagen wollte, aber so nicht geschrieben hat auf den Punkt zu bringen. Die straffen können, ohne dass ein Text an Nuancen verliert.

Schreib-/Erzähl-Konventionen, die wir alle mal überdenken sollten?
Widersprüche begradigen, damit der Text besser fließt. Szenen reportagig verkleiden, in denen eigentlich nichts passiert – tue ich auch ständig. Letzteres ist aber kein Schreib- sondern ein Rechercheproblem. In China geht es mir zunehmend so, dass ich zu vielen Themen gar keine Zugänge oder Gesprächspartner mehr finde. Das Misstrauen gegenüber ausländischen Medien und die Angst hat extrem zugenommen. Überhaupt an Erzählstoff zu kommen, ist für mich inzwischen schon Luxus.

Welchen Text einer anderen Autor:in hättest du gern selbst geschrieben?
Alle Reportagen von Evan Osnos aus seiner Zeit als New Yorker-Korrespondent in China (2008-2013). Vielleicht die besten Jahre, um aus China zu berichten: Aufbruchsstimmung, noch wenig Kameras, die Leute waren neugierig aufs Ausland. Ich habe leider nur ein Jahr in China als Reporterin erlebt, bevor Xi Jinping an die Macht kam, aber das war großartig: Die Geschichten spielten auf der Straße und egal wo man hinkam, man wurde gleich nach Hause eingeladen (oft wurde auch ein Huhn geschlachtet). Mit jedem Jahr ist die chinesische Gesellschaft seither verschwiegener geworden.

Schönster erster Satz?
Ich bastel zwar lange an ersten Absätzen, aber über die Schönheit von ersten Sätzen habe ich mir das letzte Mal an der Journalistenschule Gedanken gemacht und danach nie wieder, sorry.

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Das Programm Scrivener, mit dem man sich einen super Überblick über Notizen und Entwürfe verschaffen kann statt in dreizehn Word-Dokumenten gleichzeitig zu arbeiten. Beste Investition!

Was liest du gerade?
„Die Hälfte der Sonne“ von Chimamanda Ngozi Adichie, ein Roman der im nigerianischen Bürgerkrieg der Sechziger Jahre spielt. Und „Land of Big Numbers“ der Wall Street Journal-Kollegin Te-Ping Chen, eine gerade erschienene Sammlung von fiktiven Kurzgeschichten, die einen Einblick in die chinesische Gesellschaft geben, wie es journalistische Texte kaum noch können.

Xifan Yang, geboren 1988, ist seit 2018 die Peking-Korrespondentin der ZEIT. Ausgebildet wurde sie an der DJS, danach berichtete sie als Freie aus Shanghai für Stern, NZZ und Geo und war Redakteurin beim SZ Magazin. 2020 erhielt sie den Reporterpreis in der Kategorie „Beste Reportage“.

www.xifanyang.com