Wolfgang Bauer, wie arbeitest Du?

Ein Schreibtick?
Ich raufe mir die Haare.

Ein Schreibtrick?
Ich wringe mir die Hände.

Ein Text von dir, den du heute anders schreiben würdest?
Fast alle.

Echt jetzt?
Aus der Distanz finde ich ganze Texte nie toll, nur einzelne Absätze.

Gutes Redigieren heißt für dich...?
Die Schwächen eines Textes zu erkennen, sie zu reparieren, ohne aber die Stärken des Textes zu beschädigen. Das Schlimmste: die innere Stimme eines Textes zu brechen. Ihm beim Versuch, ihn gefälliger zu machen, jede Besonderheit zu nehmen, jedes Glitzern. Das Großartigste: KollegInnen, die sich beim Redigieren in die Autorenstimme hinzuschmiegen verstehen – wie gute ÜbersetzerInnen. Eine große Kunst.

Eine Schreib-/Erzähl-Konvention, die wir alle mal überdenken sollten
Ich glaube ja nicht, das wir "weniger schön" schreiben sollten in der Reportage, der Schlachtruf nach dem Relotius-Skandal. Sondern wir sollten im Gegenteil – auf der betonfesten Grundlage der Fakten – "noch viel schöner" schreiben. Wir müssen viel mehr um eine Sprache ringen, die unseren Protagonisten gerecht wird. In unseren Reportagen wimmelt es von Phrasen. Wir müssen sprachlich mehr wagen, sprachlich ehrlicher werden. Es ist wichtig, dass es Redaktionen gibt, die AutorInnen die Freiheit, zu experimentieren, einräumen –  genauso wie die Freiheit, daran zu scheitern.

Welchen Text eines anderen hättest du gern selbst geschrieben?
Alles von Roland Schulz!

Schönster erster Satz?
"Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinem Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm fort, über ihn hin, als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle, kurz vor Anbruch der Nacht."
(Die Kinder der Finsternis, Wolf von Niebelschütz)

Was liest du gerade?
„Der goldene Esel“ von Lucius Apuleius – der einzige komplett erhaltene Roman der römischen Antike. Fast 2000 Jahre alt, aber hat schon alle Spielarten der Erzählkunst, sehr lustig, sehr spannend und so erotisch, dass er in der BRD noch 1955 auf den Index kam.

Deine Reportagen heben sich von anderen Reportagen aus Kriegsgebieten ab, weil du die Leute nicht exotisierst und man ihnen so wirklich nahe kommt. Wie siehst du das?
Ich komme ursprünglich aus dem Lokaljournalismus. Da lernt man, dass es nichts Exotisches gibt. Mich interessiert auf welche unterschiedliche Arten Menschen ihr Leben führen können, was sie dabei lernen, was sie motiviert, jeden Morgen aus dem Bett zu steigen, was Glück für sie ist. Erst wenn man das versteht, versteht man auch den Krieg und warum er geführt wird. Ich denke, es ist ein Irrglaube, anzunehmen, Kriege entstünden in den Hirnen der politischen Eliten. Ich glaube, die meisten Kriege haben ihren Ursprung letztendlich im Hass, im Sehnen, in der Gier, in den Ängsten eines jeden Einzelnen. Und diese Giftmischung steigt dann irgendwann nach oben, kondensiert in den Eliten und schlägt dann wieder auf den Einzelnen zurück.

Wolfgang Bauer, Jahrgang 1970, ist Reporter bei der Zeit, seine Reportagen aus Krisen- und Kriegsgebieten sind stilprägend. Er machte Abitur auf dem Abendgymnasium, studierte in Tübingen Islamwissenschaft, später Geographie und Geschichte, ohne Abschluss. Journalistisch begann er beim Schwäbischen Tagblatt, seit 2011 ist er Reporter bei der ZEIT. Er gewann unter anderem den Nannen-Preis und veröffentlichte mehrere Bücher.

www.wolfgang-bauer.info