Veronica Frenzel, wie arbeitest Du?

Ein paar hundert Journalist:innen, die bei Gruner+Jahr gehen müssen, fragen sich gerade: Kann man als freie Journalistin eigentlich leben. Kann man?
Ich kann vom Schreiben leben. Mein Geld verdiene ich allerdings vor allem mit Büchern und Auftragsrecherchen von NGOs. Als ich noch mehr Reportagen geschrieben habe, waren Stipendien eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle.
 
Du hast immer frei gearbeitet – aus Überzeugung?
Von Praktika abgesehen, saß ich in meinem Leben nur drei Monate in einer Redaktion. In der Zeit war ich ziemlich uninspiriert. Eigentlich wusste ich schon davor, dass für mich so ein fester Rahmen nicht das Richtige ist.
 
Welche Art von Sensibilität wünschst du dir von Redakteur:innen im Umgang mit Freien?
Wenn ein Redakteur meinen Blick und die Herangehensweise schätzt, ist das viel wert.
 
“Natürlich hat mich (…) nie jemand vor Oma gewarnt” – das ist einer der ersten Sätze, in deinem Buch, in dem du beschreibst, wie die Nazi-Vergangenheit deiner Großeltern dich bis heute rassistisch prägt. War es schwer, in einer Zeit, in der alle von Diversität reden, das vor dir uns anderen zuzugeben?
Es hat mich ziemlich viel Überwindung gekostet, mir einzugestehen, dass ich möglicherweise nicht die bin, die ich gern wäre, also weniger offen, mehr verstrickt in Normen und Traditionen, als mir lieb wäre. Mittlerweile empfinde ich es als Befreiung. Ich sehe meine Fehler schneller und kann sie korrigieren.
 
Haben dir andere Menschen von ähnlichen Erfahrungen erzählt?
Ich mache die Erfahrung, dass Menschen sich ermutigt fühlen, sich auch verletzlich zu zeigen.
 
Gab es auch welche, die verletzt waren?
Zumindest hat mir das bisher niemand gesagt. Ich habe mir große Mühe gegeben, niemanden zu verletzen, ausschließen kann ich es natürlich nicht. In die Pfanne hauen wollte ich vor allem mich selbst. Gerade lese ich über acknowledgment oder repairing genealogy in den USA: Menschen setzen sich öffentlich mit ihren Sklavenhalter- oder Verkäuferwurzeln auseinander. In einem Artikel hieß es: “the more people tell their stories, the deeper they will go and the less resistant they become to seeing the repair that’s needed.” Im besten Fall trägt das Buch also dazu bei, dass weniger Menschen verletzt werden.
 
Ein Recherchetrick?
Auf Recherche schreibe ich jeden Morgen in mein Tagebuch alles, was mir unterwegs in den Sinn kommt. Auch das, was mit der Geschichte direkt nichts zu tun hat, kann mir beim Strukturieren der Geschichte helfen.
 
Ein Schreibtick?
Ich speichere das Dokument, an dem ich arbeite, jeden Tag mehrmals unter einem anderen Namen. Das brauche ich, um den Text immer wieder ganz neu denken zu können.
 
Ein Schreibtrick?
Ich setze mich erst an den Computer, wenn ich die Struktur der Geschichte im Kopf habe. Und wenn ich beim Schreiben feststecke, stehe ich vom Schreibtisch auf und mache irgendetwas ganz anderes.
 
Auf welchen deiner Texte bist du heute stolz?
Noch immer mag ich eine Reportage aus Uganda, die im SZ-Magazin erschienen ist, “Zu viel des Guten”. Eine US-Amerikanerin, die dort eine Ngo für unterernährte Kinder gegründet hatte, stand dort vor Gericht, ihr wurde vorgeworfen, sie hätte den Tod mehrerer Kinder zu verantworten. Es ging aber um viel mehr als um die Frage, ob sie schuldig war. Ich habe die Geschichte in Form von Protokollen erzählt, aus den Perspektiven aller Beteiligten. Ich glaube, damit bin ich den komplexen Umständen des Falls zumindest ein bisschen gerecht geworden.
 
Gutes Redigieren heißt für dich?
Patrick Bauer vom SZ-Magazin hat mal zu einem meiner Texte gesagt, der Protagonist wirke ein bisschen unsympathisch. Da habe ich kapiert, warum ich beim Schreiben so mit mir gerungen habe. Der Knoten war gelöst. Ich habe es leider trotzdem nicht mehr geschafft, den Eindruck zu ändern. Aber mit dem Hinweis hatte er das Kernproblem des Textes getroffen. Das ist richtig gut.
 
Welchen Text einer anderen Autor:in hättest du gern selbst geschrieben?
Alle Reportagen, die mich bewegen UND überraschen, hätte ich gern selber recherchiert.
 
Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Mir hilft, den Text ein paar Tage liegen zu lassen, bevor ich ihn an die Redaktion schicke.
 
Ein Buch, das dich journalistisch geprägt hat (und warum)?
Mich prägt eigentlich alles, was ich lese. Vor ein paar Jahren habe ich “The rules do not apply” von Ariel Levy gelesen, ich hatte sie bei der Recherche in Uganda kennengelernt. Das Buch hat mich inspiriert, mich an etwas Autobiografisches zu setzen.

 

Veronica Frenzel ist freie Radio- und Print-Journalistin in Berlin. Sie hat den Axel-Springer-Preis gewonnen und war für den Theodor-Wolff- und den Reporter:innen-Preis nominiert. Für ihre Recherchen lebte sie in Kenia, Mosambik und Uganda. Zuletzt war Frenzel Stipendiatin des SZ-Magazins und des Grenzgänger-Programms der Robert-Bosch-Stiftung. 2022 erschien von ihr das Buch "In eurem Schatten beginnt mein Tag – Wie die Nazi-Vergangenheit meiner Familie mich bis heute rassistisch prägt"

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