Moritz Aisslinger, wie arbeitest Du?

Gratulation zum Reporter:innen-Preis für deine Geschichte über eine Schiffskatastrophe und die Bedingungen der globaliserten Frachtschifffahrt. Ahntest du beim Schreiben, dass du da erzählerisches Gold in der Hand hast?I
Ich hatte viel Glück, dass mir mehrere Angehörige Whats-App-Nachrichten, Audios und Bilder der Crew-Mitglieder überlassen haben. Meine Aufgabe bestand dann eigentlich nur darin, die Nachrichten auszuwählen, die einen besonderen Einblick in die Wochen und Tage vor dem Untergang ermöglichten.

Du konntest die Geschichte auch mit Hilfe von Hinterbleibenen schreiben.  Wissen die Hinterbliebenen eigentlich schon von dem Erfolg?

Ich musste gleich nach der Preisverleihung für eine Recherche nach Italien, wo ich gerade noch bin. Deshalb habe ich ihnen noch nicht geschrieben. Wir stehen aber noch in regelmäßigem Kontakt, ich sage ihnen bei nächster Gelegenheit Bescheid.

Deine Dramaturgie-Tricks, um Leser:innen für die Zeit, die es braucht um ein Dossier zu lesen, zu fesseln?
Der amerikanische Schriftsteller George Saunders hat mal von einem Filmproduzenten gelernt, dass ein gutes Drehbuch zwei Kriterien erfüllen müsse: Jeder Textabschnitt soll so unterhaltsam sein, dass man bis zum nächsten weiterlesen möchte; außerdem müsse die Passage die Geschichte auf eine „nicht-triviale Weise“ voranbringen. Ich glaube, das ist wahrscheinlich auch bei der Dramaturgie für ein Dossier hilfreich.

Was kann Reportage heute besser als vor 15 Jahren
Vielleicht ein bisschen leiser sein.

Ein Recherchetrick?
Höflich sein, geduldig sein, Zeit für die Protagonisten haben, zuhören.

Ein Schreibtick?
Ich kann mir vor dem Schreiben irgendwie keine Struktur machen oder schon den kompletten Aufbau überlegen, sondern muss immer gleich anfangen zu schreiben, und dann von Passage zu Passage schauen, wie es weitergehen könnte.

Ein Schreibtrick?
Wenn man sich zwischen zwei Wörtern entscheiden muss, lieber das leichtere nehmen.

Gutes Redigieren heißt für dich?
So zu redigieren wie Malte Henk und Wolfgang Uchatius. Sie lesen die Manuskripte sehr genau, haben dann sehr viele Nachfragen und arbeiten am Ende sehr eng mit der Autorin oder dem Autor zusammen an dem Text.

Welchen Text einer anderen Autor:in hättest du gern selbst geschrieben?
Ich glaube, die vielen Texte, die ich bewundere, hätte ich nie selbst schreiben können. Zum Beispiel „Die Hundegrenze“ von Marie-Luise Scherer.

Geheimtipp, der jeden Text besser macht?
Keine Angst davor haben, unterhaltsam zu sein. Und so einfach wie möglich schreiben.

Ein Buch, das dich journalistisch geprägt hat (und warum)?
In einem der ersten Journalistenbücher, das ich gelesen habe (ich glaube, es war von John Jeremiah Sullivan), schreibt der Autor, dass er am Anfang jeder Recherche alle Bücher kauft, die es zum Thema gibt. Das fand ich damals wahnsinnig beeindruckend und beneidenswert. Deshalb kaufe ich mir jetzt auch am Anfang einer Recherche immer viele, wahrscheinlich aber nicht alle, Bücher zum Thema.

Dein Lieblings-Buch aus dem Bereich des erzählerischen Journalisums?
Ein tolles Buch sind zum Beispiel die „Römischen Reportagen“ von Ingeborg Bachmann.

Moritz Aisslinger, 37, hat Literatur und Geschichte in Mainz und Leipzig studiert. Danach besuchte er die Deutsche Journalistenschule. Seit 2016 arbeitet er bei der ZEIT, seit 2019 ist er Redakteur im Dossier. Für seinen Text Dem Sturm ausgeliefert erhielt er den Reporter:innen-Preis 2023 in der Kategorie Beste Reportage.

Moritz Aisslinger bei ZEIT