Markus Grill, wie arbeitest Du?

Ein Recherche-Tick?
Weniger mailen, mehr telefonieren.

Auf welche deiner Recherchen bist du besonders stolz?
Auf jene, die einen grundsätzlichen Missstand aufgedeckt haben, zum Beispiel die „Krebs-Mafia“ (SPIEGEL 2012) über die Schmiergeldpraxis bei Chemotherapien. Aber das sind oft nicht die Geschichten mit dem größten medialen Echo.

Eine Recherche von dir, die du heute anders machen würdest?
Ich fürchte, ich habe schon mal über Dinge geschrieben, ohne sie richtig verstanden zu haben.

Eine Recherche-Konvention, die wir überdenken sollten?
Anonyme Quellen zu zitieren. Was im Ausnahmefall erlaubt und berechtigt ist, wird im Alltag häufig aus Bequemlichkeit gemacht, um Ärger zu vermeiden oder um nicht weiter suchen zu müssen, bis mir jemand die Dinge on the record erzählt.

Eine besonders elegante Recherche?
Elegant ist es natürlich immer, mittendrin zu sein und sich gleichzeitig die größtmögliche innere Unabhängigkeit zu bewahren.

Team-Work heißt für dich…?
Mit Leuten zusammen zu arbeiten, die tatsächlich etwas zum Gelingen einer Geschichte beitragen können, die die fehlenden Puzzleteile ergänzen. Oder einem schlicht sagen, dass man mal wieder auf dem Holzweg ist.

Wie finde ich Informanten?
Indem ich selber informiert bin, also Gesprächspartnern den Eindruck vermittle, dass ich mich inhaltlich auskenne, an einer Sache interessiert bin und fair mit ihnen umgehe.

Was liest du gerade?
„Der Tintenfischer“ von Wolfgang Schorlau, ein Krimiautor, der für gewöhnlich sehr gut recherchiert. Und von meinem alten Lehrer Ulrich Herbert „Wer waren die Nationalsozialisten?“

Und dann kam Corona. Was habt ihr gemacht?
Weil man über viele Dinge in der Pandemie so wenig weiß, haben wir versucht, selbst Erkenntnisse zu schaffen, indem wir zum Beispiel alle 400 Gesundheitsämter abgefragt haben, etwa zu ct-Werten oder zur Zahl der Menschen, die sie pro Infiziertem in Quarantäne schicken. Dann haben wir auch mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes einige Unterlagen aus dem Gesundheitsministerium erstritten, aus denen Geschichten geworden sind.

Ihr habt den Betrug bei den Schnelltest-Abrechnungen offengelegt. Wie lief das ab?
Den Verdacht, dass Spahns Testverordnung eine Einladung zum Betrug war, hatte ich von Anfang an, deshalb habe ich schon im März alle Kassenärztlichen Vereinigungen angefragt, wie denn die Abrechnung konkret bei ihnen läuft. Aber erst im Mai gab es dann einen Informanten, der uns Zugang zur einem Dashboard des NRW-Gesundheitsministeriums gewährte, mit dem wir zeigen konnten, dass es zumindest eine große Lücke gab zwischen den vor Ort von uns gezählten Schnelltests und den Meldezahlen ans Ministerium.

Böswillige nennen den Rechercheverbund ein „Zitierkartell“. Deine Antwort?
Peinlicherweise habe ich das vor Jahren selbst in einem Interview gesagt, als ich noch Chefredakteur von Correctiv war. Seit ich aber für NDR-WDR-SZ arbeite, muss ich sehen, dass zum Beispiel die „Tagesschau“ uns keineswegs bevorzugt. Es gibt viele exklusive Geschichten, mit denen wir an den strengen Redakteur:innen in Hamburg scheitern. Klarer Fall also von: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Wie steht es um investigative Recherche verglichen mit, sagen wir, dem Jahr 2000?
Die technischen Möglichkeiten sind besser und die Kooperationen nehmen zu. Aber der Blick auf die Leuchttürme täuscht über die Ödnis in der Breite. Es gibt heute schlicht weniger Geld und Ressourcen im Journalismus und das führt zu einem Rückgang des recherchierenden Journalismus. Für die öffentliche Debatte und letztlich auch die Demokratie ist das leider keine gute Entwicklung

Wie erklärst du dir, dass bis heute die meisten Journalist:innen nicht wissen, wie man IFG-Anfragen stellt?
Erstens ist das IFG noch relativ neu und ich weiß nicht, ob es in der Journalisten-Ausbildung schon angekommen ist. Zweitens ist es am Anfang auch mühsam. Aber Dank Manfred Redelfs und seiner ständigen Kurse beim netzwerk recherche ist es hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis viele dieses Werkzeug nutzen, um an Akten zu kommen.

Wie wichtig ist elegantes Erzählen für große Recherchen?
In meinem Büro hängt ein Zitat von Albert Einstein: „If you can’t explain it simply, you don’t understand it well enough.“ Das heißt, an allererster Stelle steht für mich die Klarheit. Aber auch jede investigative Geschichte ist zunächst mal eine Geschichte, das heißt, sie muss erzählt werden, mit einem Anfang und einem Ende und einem roten Faden. Im Übrigen halte ich wenig von der Trennung in Reporter und Rechercheure.

Markus Grill, geboren 1968 in der schwäbischen Provinz, nach dem Abitur Geschichte- und Germanistik-Studium, danach Volontariat bei der „Badischen Zeitung“. Nach Stationen bei STERN, SPIEGEL und CORRECTIV seit 2017 beim NDR- und WDR-Investigativressort als Leiter des Berliner Büros. Spezialisiert auf Misstände und Korruption im Gesundheitswesen.

www.markusgrill.eu